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The Great Derangement
Climate Change and the Unthinkable

 “Who can forget those moments when something that seems inanimate turns out to be vitally, even dangerously alive? As, for example, when an arabesque in the pattern of a carpet is revealed to be a dog’s tail, which, if stepped upon, could lead to a nipped ankle? Or when we reach for an innocent-looking vine and find it to be a worm or a snake? When a harmlessly drifting log turns out to be a crocodile?” (Amitav Ghosh, The Great Derangement (2016), p. 3.)

 

Sie sind unvergesslich und doch vergessen wir sie sekündlich, die Momente, die uns zeigen, dass doch alles ganz anders, so überhaupt nicht beherrschbar und letztlich unvorhersehbar ist. Erinnern Sie sich an Xaver, den Orkan, der vor ein paar Monaten in Deutschland Menschenleben gekostet und Bahnverkehr und Städte verwüstet hat? Dieses Ungetüm - war das nicht in unserer Erwartung ein Herbststurm zum Drachensteigen lassen, der sich dann in eine tödliche Geschossschleuder verwandelte? 

Es ist doch aufschlussreich, wie wir über derlei Vorkommnisse reden und schreiben. Seit einigen Jahren nehmen extreme Wettervorkommen zu, auch in Mitteleuropa, doch noch immer steht die Verzögerung des Klimawandels nicht unbedingt auf der politischen Tagesagenda, auf die sie gehört.
 

In seinem Sachbuch “The Great Derangement - Climate Change and the Unthinkable” geht der indische Autor und Essayist Amitav Ghosh erzählerisch meisterhaft der Frage nach, warum über den Klimawandel jenseits von Journalismus und Aktivismus vergleichsweise so wenig geschrieben wird: “Are the currents of global warming too wild to be navigated in the accustomed barques of narration?”, fragt Ghosh. Wenn dem so sei, sei das doch aber merkwürdig, stellt er fest, befänden wir uns doch in einer Zeit, in der das Wilde eigentlich die Norm geworden sei. Wenn literarische Formen diese Zeiten nicht ausloten könnten, versagten sie, so Ghosh. Allerdings seien sie dabei nur Teil eines größeren imaginativen und kulturellen Versagens, das zentral für die Klimakrise ist. 

Es ist genau diese Verknüpfung zwischen Fiktion und Handlungsmöglichkeit, die sich durch die drei Teile des Buches (“Stories”, “History”, “Politics”) webt, wobei Ghoshs Analyse anhand zahlreicher Beispiele immer pointierter wird, die Fragen immer unangenehmer: Sollten wir annehmen, dass diese Ära des Klimawandels uns schließlich dazu nötigen wird in Bildern zu denken und uns immer mehr zu lösen von unserer Wortbezogenheit? Immerhin scheinen es Fernsehen, Film und die Bildenden Künste sehr viel leichter zu haben bei der Thematisierung des Klimawandels. Was bedeutet diese Feststellung für die Zukunft des Romans? Wenn, wie Ernest Gellner behauptete, der humanistische Intellektuelle ein Experte des geschriebenen Wortes ist, versagt die humanistische Intelligentsia dann nicht gerade?
Auf den letzten Seiten aber, legt Ghosh Hoffnung an: "So if it is the case that the last, but perhaps most intransigent way that climate change resists literary fiction lies ultimately in its resistance to language itself, then it would seem to follow that new, hybrid forms will emerge and the act of reading itself will change once again, as it has many times before.”

Amitav Ghosh, The Great Derangement - Climate Change and the Unthinkable, The University of Chicago Press, 2016. 
 

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