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Warum, eine Generation

Eine Generation hat einen Buchstaben verpasst bekommen, das Ypsilon. In diesem ersten Satz stecken gleich zwei Rätsel; der ominöse Buchstabe und die Frage danach, was eine Generation ist, wer sie bilden wird, welche Themen und Ereignisse sie ausmachen werden - eigentlich etwas, was sich nur in Retrospektive formulieren lässt. Dennoch versucht die Erfindung “Y” schon jetzt Antworten zu geben. Ich rege mich gerne künstlich auf und vor ungefähr zwei Jahren, als mir das Y das erste Mal ins Blickfeld lief, tat ich genau das. Was für eine anmaßende Idee, ein Buchstabe für eine Generation. Ich habe es ungnädig verfolgt, das Y, in Zeitungen, Internetforen, dem Radio und Fernsehen, ab und zu auch in der Uni.

Wer sind wir, was soll der Buchstabe? Schon vor ein paar Jahren fiel mir die Bezeichnung “Millenials” auf, die Jahrtausendler, aber scheinbar war diese Namensgebung weniger erfolgreich als “Generation Y”, ausgesprochen “Generation Why”. Soziologen beschreiben uns als “gut ausgebildete Digital Natives” (oder zumindest medien- und technikaffine) “Infragesteller”, die Sinn suchen und Spaß beim Arbeiten haben wollen - auf Unsicherheit spätestens seit 9/11 eingestellt, sowohl politisch als auch beruflich und privat, geboren zwischen 1980 und 1999, vor uns kommen, wenig überraschend, Boom und X, nach uns das Z, darauf bin ich gespannt, ich hoffe es wird eigentlich ein A. Ich fühle mich, auf der einen Seite, verstanden, irgendwie verlockend beschrieben. In vielen Artikeln revolutioniert die Generation Y stumm und beharrlich die Arbeits- und Konsumwelt, politisches Engagement verschwindet nicht, wird nur eher eine Abstimmung mit Füßen: Durch Konsumverhalten verändern, durch neue Familienmodelle prägen wir unsere Gesellschaft, nebenbei genießen wir Internationalität und jede Menge Freizeit. Wir haben es gut, oder? Mir fallen nach der Lektüre dieser Art von Artikeln, oder auch der ganzen “Neon”, meist zwei Dinge auf: Erstens wie abgehoben und zweitens wie losgelöst dieser Entwurf ist. Abgehoben weil, ehrlich gesagt, die, die da beschrieben werden, scheinen kleine Elitefuchser zu sein, gleichzeitig international vernetzte Genussliebhaber und nebenbei entspannt in der Lage, berufliche und private Unsicherheit sowohl finanziell als auch emotional virtuos zu kompensieren. Ich kenne tatsächlich einige dieser Glücklichen, manchmal fühle ich mich ihnen sogar zugehörig und dann auch wieder gar nicht, immer dann, wenn ich Menschen mit Problemen treffe oder selber so einer bin. Losgelöst ist diese Idee - und die Behauptung lässt sich leicht untermauern - weil viele Menschen, nicht nur der in der Zeit zwischen 1980-99 Geborenen, in prekären sozialen und beruflichen Bedingungen feststecken und das schon in rein nationaler Betrachtung. Auf dem Bahnhof Roßlau (Elbe), eine Station vor Dessau, der Bauhaus- und Theaterstadt, die auch die Stadt ist, der der Focus den Titel “überhaupt nicht lebenswert” gab, gibt es einen Tunnel, durch den man auf das andere Gleis und in Richtung Stadt gelangt. An der Wand dieses Tunnels empfangen mich ab und an Hakenkreuze, Hetze gegen sogenannte “Ausländer” und jede Menge Rechtschreibfehler. Die strukturschwachen Regionen, die es in beinahe jedem Land der Erde gibt und zu denen nicht nur weites Land, sondern auch die Vorstädte von Paris gehören, beherbergen oft intellektuelle Leere, finanzielle Leere, Zukunftsleere und dann oft in West- und Ostdeutschland, große und kleine Extremisten, die auch zur Generation Y gehören müssten, aber ich finde sie nicht in den Artikeln, in denen über Pegida, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg, aber nicht über die Aktion Zivilcourage in Pirna bei Dresden, nicht über die freiwillige Feuerwehr und ihre Demokratieberater geschrieben wird und dann stehe ich dort in Roßlau manchmal auf dem Bahnhof und frage mich, in wie vielen Welten eine Generation leben darf, damit eine Gesellschaft noch funktioniert. Ich sehe die Ypsiloner in Berlin vor dem Seminar die Biocompany frequentieren und dabei Harald Welzer lesen, ohne die Menschen zu kennen, die die Hakenkreuze auf deutsche Bahnhöfe schmieren und auch diejenigen nicht, die sie wieder durchstreichen oder überstreichen und auch nicht die, die daneben schreiben: “Neonazis sind überdurchschnittlich oft arbeitslos, gewalttätig und ungebildet und bei konsequenter Abschiebepolitik gegen Rechtsextreme könnte die BRD 100 Milliarden Euro sparen”, klar, das Problem pflanzt sich ja fort. Wir müssen uns mit euch beschäftigen, ihr gehört ja zu uns, ihr Rechtsextremen, und wenn wir auf Arno Gruen hören, müssen wir unsere Gesellschaft - die fängt in der Familie und auf Ämtern an - mit empathievoller Erziehung heilen, um euch loszuwerden, oder besser gesagt, um euch zu einem gesunden Teil von uns zu machen und damit uns alle gesund zu halten. Also schreibe ich das erste Mal selber über die Generation Y, die zwischen 1980-99 Geborenen, hier mein erster Versuch: Die meisten von uns mögen Medien und Technik, sie ermöglichen uns flexible Arbeitszeiten und die ständige Erreichbarkeit von Informationen und unseren Kontakten. Wir sind mobiler geworden und unsere Welt damit schneller und unberechenbarer, genau wie unsere Arbeitsverträge und Beziehungen, vielleicht, zumindest lese ich das oft. Wir haben befristete Arbeitsverträge, vor allem die Kulturschaffenden, gering Qualifizierten und Geisteshandwerker unter uns und das nötigt uns eine gewisse Flexibilität ab, im Planen und im Brauchen. Dadurch ermöglichen wir neue Arbeitsstrukturen, aber ich glaube, niemand, der Menschen liebt, will vier viertel Stellen, das Wissenschaftszeitgesetz und nach einem Jahr viel Spaß mit der drohenden Freizeit, wenn er nicht finanziell und sozial auch ohne Arbeit abgesichert ist. Ansonsten lernen auch die Klugen unter uns, mit dieser Unsicherheit umzugehen und noch mehr Abschlüsse und Zertifikate zu sammeln. Meine Großmutter sagt manchmal “Augen auf bei der Berufswahl”, leicht gesagt, wenn man das lange hinter sich hat, und meint, wenn man in der Verwaltung oder der Technikwirtschaft mehr Geld verdiene und die Verträge gleich unbefristet seien, sollte man eben eine Ausbildung machen oder Wirtschaftsinformatik studieren. Das scheinen manche Bildungspolitiker und Arbeitgeber im Kultur- und Wissenschaftsbetrieb genauso zu sehen. Praktisch also, dass wir Y-ler gar nicht mehr parteipolitisch sind und Betriebs-, Personalrat und Gewerkschaft verlassen und stattdessen eben anders konsumieren. Wunderbar, dass Essen politisch sein kann, aber wir sollten auch inkonsistente Strukturen, Gesetze und Debatten analysieren, um das zu schützen oder erst zu etablieren, was uns wichtig ist. Und apropos politisches Engagement: Die Gründer der Aktion Zivilcourage aus Pirna sind genauso alt wie die Neonazis dieser Gegend. Die Theaterschaffenden in Dessau gehören zum Teil genau der Generation an, die im Stadtpark Dessau Menschen verprügeln, die sie als irgendwie anders wahrnehmen. Der Großteil dieses Theaters verzichtet übrigens auf einen Teil seines Gehaltes, um weiter das Angebot darbieten zu können, das die Politiker in der Regierungsverantwortung für eben auch das Kultur- und Gartenreichland Sachsen-Anhalt teilweise einsparen wollen - zugunsten welcher Politik- und Wirtschaftsschwerpunkte genau? Die Beschreibung, die ich zur Generation Y lese, höre und selbst schreibe, ist unglaublich undifferenziert und ich merke, wie komplex dieses Unterfangen ist. Die Fähigkeit zu differenzieren sorgt wahrscheinlich auch dafür, dass man so eine Generation schlechter beschreiben kann.

Aber es gibt ein paar Dinge, die ich mir von den zwischen 1980-99 Geborenen erhoffe: Ich hoffe, wir sind eine der vielen Generationen A: eine, die sich für die Welt in der wir arbeiten, Spaß haben, essen, trinken, ins Theater und auf Technikmessen gehen wollen, engagiert, die lebensfeindliche Bürokratiestrukturen hinterfragt und ändert und die Innovation freiheits-, menschenfreundlich und nachhaltig nutzt. Ich kenne die, die in kleinen Bahnhöfen Dummheiten korrigieren und dabei Humor haben, ich kenne die, die 60 Stunden im Theater und in Kindergärten und Schulen arbeiten und denen ihr Gehalt nicht das Ein und Alles ist, ich kenne die, die Internet und Technik partizipativ und gemeinschaftsorientiert gestalten wollen und die, die ohne und mit Uniabschluss unsicherste Arbeitsverträge haben und die die Strukturen, die sie da erdrücken, ertragen und ich hoffe, wir machen weiter und den Mund auf und lassen uns nicht unzutreffend im Hochglanz-Lifestyle-Format einfangen. Das Beste, was sich über dieses Label “Y” schreiben lässt, ist ja, dass es englisch ausgesprochen wie das Wort “Why”, “Warum” klingt. Stellen wir also in Frage.


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