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Immer für die Schublade

Warum gibt es an deutschen Universitäten, zumindest in den Geistes- und Sozialwissenschaften, eine so überbordende Fülle an Hausarbeiten, die jedes Semester wieder geschrieben, gelesen und korrigiert und dann zensiert werden, nur um dann in Schubladen, Ordnern und der Ecke hinten links auf irgendeiner Festplatte zu verschwinden?

Ein Großteil dieser Arbeiten dient der Übung. Keine Frage, dass die auch nötig ist. Schreibend wissenschaftlich zu denken, das heißt, ein bestimmtes, idealerweise selbstgewähltes Thema eigenständig zu strukturieren, zu diskutieren und gemäß wissenschaftlicher Methoden und Standards zu bearbeiten, ist nicht einfach eine Kompetenz, sondern Fundament jeder geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplin. So entstehen Bezugspunkte, Theoriegebäude, Paradigmen und ein Korpus, das Rückbezug, Vergleich, nachvollziehbare und konstruktive Kritik und schließlich Weiterentwicklung erlaubt.

Aber warum jedes Semester wieder, warum so wenig Essays, Klaururen, mündliche Prüfungen, Workshoporganisationen, Projekttage, Lerntagebücher - kurz: Warum so einseitig?

Eine kurze Suchanfrage beschert einem innerhalb von Sekundenbruchteilen hunderttausende Tipps zum Abfassen dieser Arbeiten und Links zu zahlreichen Prüfungsordnungen deutscher Universitäten; die Frage warum Hausarbeiten und kaum etwas anderes, kommt jedoch erschreckend selten vor. Aus oben genannten Gründen sollte jedes Studium diese 12-30 Seiten langen Hausarbeitsformate umfassen, aber zu beobachten ist doch ein erstaunlicher Mangel an alternativen Bewertungsformen. Aus Gründen der sogenannten "Vergleichbarkeit", weil es "schon immer so" war oder weil die Änderung der Studien- und Prüfungsordnung zu langwierig wäre, ist unklar.

Zunächst interessanter und konstruktiver scheint aber, was mit diesen Hausarbeiten in der Zeit geschehen kann, in der das Papier, auf das sie gedruckt wurden, langsam vergilbt.

2007 entstand das "Soziologiemagazin" der Uni Halle, 2010 nahm sich das Projekt "Anwesenheitsnotiz" verwaister, aber spannender Hausarbeiten an, holte sie aus den Schubladen und veröffentlichte sie. Drei Jahre später, ebenfalls an der Freien Universität Berlin, wurde die studentische Vorlesungsreihe "Aus den Schubladen" gestartet, an der Universität Marburg fand sogar ein "Texte aus den Schubladen"-Kongress statt. Das Literaturhaus Hamburg sammelt, angeregt durch 20 Studierende der Geisteswissenschaften, Texte, die Studierende an der Uni verfassen und versucht eine Collage in Form einer Lesung zu gestalten. Sie fragt: Was bedeutet es, geistig tätig zu sein?

Auffällig ist, dass die meisten dieser Formate auf studentische Initiative zurückgehen, wo doch auch immer mehr Lehrende zugeben, dass die Last der Korrekturen sie letztlich paradoxerweise ebenso an Lehre wie an Forschung hindere. Wir brauchen mehr Bündnisse und Entwicklungen unter der Fragestellung, wie diese hunderttausende Arbeiten fruchtbarer werden können.

 

Einige Initiativen:

http://www.journal360.de

http://hastuzeit.de/2016/hunting-out-the-hausarbeit/

http://www.leuphana.de/gender-diversity-portal/studium-lehre/thematische-perlen.html


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